Zeitzeugen aus Glas

  • Tibet-Antilope
  • Pantholops hodgsonii
Beschreibung

Martin Schelenz war von 1899 bis 1935 Präparator am Naturkundemuseum Karlsruhe. Als er 1914 die Gelegenheit bekam, eine Tibet-Antilope zu präparieren, war die damals im Hochland von Tibet sehr häufige Antilopenart in Deutschland noch weitgehend unbekannt – es sei denn, man war ihr in den Reiseberichten des schwedischen Entdeckers Sven Hedin begegnet.

So könnte es auch bei Martin Schelenz gewesen sein. Er selbst hatte noch nie eine lebende Tibet-Antilope gesehen. Sein Ausgangsmaterial waren Fell und Schädel eines Tieres, die das Museum von der Firma Umlauff in Hamburg erworben hatte. Wohl auch deshalb hat Schelenz die Chance genutzt, die Arbeitsschritte für die Anfertigung einer lebensechten Dermoplastik ausgerechnet an diesem Beispiel in einer Serie von Glasplattendias festzuhalten. Mit dem bloßen Ausstopfen eines Fells mit Holzwolle oder Stofffetzen hat das Anfertigen einer Dermoplastik nämlich nichts zu tun.

  1. Am Anfang steht der Bau eines Gerüsts aus Holz, Metallbändern und Draht, an dem der modellierte Kopf des Tieres befestigt wird.
  2. Auf das mit Sackleinen verkleidete Gerüst wird aus Ton ein Nacktmodell des Tieres geformt.
  3. Vom Tonmodell wird eine mehrteilige Gipsform angefertigt,
  4. die von außen mit Querstreben versteift und stabilisiert wird.
  5. Die vom Tonkörper gelöste Gipsform wird auf der Innenseite mit gipsgetränkten Stücken aus Jute-Leinwand in Schichten ausgekleidet (laminiert), wobei eine dünne Trennschicht aus Ton dafür sorgte, dass sich der gewonnene, hohle Positivabguss auch leicht aus der Gipsform lösen ließ. Die Beine in der Form wurden nicht laminiert, sondern mit flüssigem Gips ausgegossen.
  6. Das Ergebnis ist ein relativ leichter und stabiler Positivabdruck und eine wiederverwertbare Gipsform.
  7. Die Positivabdrücke aus den einzelnen Formen werden zu einem neuen Nacktmodell zusammengesetzt, Details der Muskulatur werden nachmodelliert und der mit Hörnern bewehrte Bereich des Schädeldachs und die naturgetreu kolorierten Glasaugen eingefügt.
  8. Auf dem so entstandenen künstlichen Körper wird das Fell aufgeklebt, vernäht und behutsam getrocknet. Die fertige, jetzt museumsreife Dermoplastik wurde von Schelenz im Nymphengarten hinter dem Museumsgebäude in Szene gesetzt und mit diesem Dia verewigt. Das Original wurde dagegen im Zweiten Weltkrieg zerstört, nur der Schädel, aus dem Teile des Stirnbeines mit dem Gehörn herausgesägt wurde, hat sich bis heute erhalten.

Tibet-Antilopen wurden wegen ihrer sehr weichen Unterwolle, die zur Herstellung kostbarer Schals Verwendung fand, vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erbarmungslos gejagt. Erst strenge Schutzmaßnahmen ab Ende der 1970er Jahre führten zu einer langsamen Bestandserholung.

Quellen

Becker, C. (2004). Wie ein zweites Leben: der Tierbildner Herman H. ter Meer. Passage-Verlag, Deutschland: Leipzig.

Hedin, S. A. (1909). Transhimalaja, Band 1 und 2. F. A. Brockhaus, Deutschland: Leipzig.

IUCN SSC Antelope Specialist Group. (2016). Pantholops hodgsonii. The IUCN Red List of Threatened Species 2016. Abgerufen am 19. August 2021, von https://www.iucnredlist.org/species/15967/50192544

Metadaten

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