Zoologie

Über den Mythos Wolf

Zitat

Er ist einerseits ein Mythos, ein unglaublich aufge­ladenes Tier, fast schon eine Projektion­sfläche für menschliche Unsicherheit und Angst, aber trotzdem auch für Begierde und die Sehnsucht nach Freiheit.

Sara Dahme, Kunst- und Kulturvermittlerin
Absätze
Text

Sie durften aus unseren Objekten ein Lieblingsobjekt auswählen – was hat für den Wolf gesprochen?

Sara Dahme:
Der Wolf ist für mich ein absolutes Faszinosum. Er ist einerseits ein Mythos, ein unglaublich aufgeladenes Tier, fast schon eine Projektionsfläche für menschliche Unsicherheit und Angst, aber trotzdem auch für Begierde und die Sehnsucht nach Freiheit.

Dieses Tier ist anachronistisch: Es passt nicht mehr in unsere heutige Welt und trotzdem ist es da. Für mich war der ausschlaggebende Moment in der Auswahl der, als ich gesehen habe, dass dieser Wolfsschädel, gar nicht historisch ist, sondern sehr aktuell. Dass dieser Wolf erst vor ein paar Jahren auf einer Autobahn totgefahren wurde, ist für mich ein Crash zwischen Fiktion und Realität. Auf einmal wird der ganze Mythos real und dieser Wolf existiert tatsächlich – er versucht es zumindest.

Was fasziniert Sie an diesem Objekt?

Ich wage mal ganz keck zu behaupten, dass ich vor realen Wesen keine Angst habe. Aber vielleicht macht das den Wolf auch zu einem Zwischenwesen, weil seine Rolle in der Fiktion, in der Phantastik, im Mythos eine sehr viel präsentere ist als die in der realen Welt. Ich habe nur in einem Wildpark einmal einen Wolf aus ganz großer Distanz gesehen und fand das schon sehr beeindruckend, weil das wirklich enorm große Tiere sind. Aber ich kann natürlich nicht sagen, wie das wäre, wenn ich einem begegnen würde.

Was verbindet Sie mit diesem Objekt?

Als ausgerottet und nicht mehr existierend geltend und trotzdem noch da zu sein, das zeigt einen unglaublichen Überlebensdrang. Das ist auch etwas, was ich mir für mich wünsche: mehr Dinge aushalten und durchhalten zu können, mich nicht klein kriegen zu lassen von Dingen, die ich nicht beeinflussen kann. Der Wolf hat für mich sogar eine Art buddhistische Idee verkörpert: Da sein, annehmen, aber nicht sofort reagieren, sondern abwarten. Und vielleicht tut er es nicht bewusst, aber er tut es und das ist der viel größere Vorteil, den er uns Menschen gegenüber hat.

Was haben Sie mit dem Objekt gemeinsam?

Ich wünsche mir, dass mein Gegenüber einen Standpunkt bezieht und versucht, mir diesen auch klar zu machen. Das wäre vielleicht dieses kurze Zähnefletschen des Wolfes, ein kurzes Angsteinflößen, aber nur, um das Gegenüber herauszufordern, Stellung zu beziehen. Ich wünsche mir mehr echte Reaktion und nicht nur angeeignete Meinungen. Wenn der Wolf so wäre, wäre das vielleicht unsere Gemeinsamkeit.

Wenn Sie Ihr Lieblingsobjekt mit nach Hause nehmen dürften, wo und wie würden Sie es aufbewahren beziehungsweise präsentieren?

Bei Objekten ist es tatsächlich so, dass ich sie erst einmal real spüren muss. Das heißt, ich müsste diesen Wolfsschädel erst einmal „spüren“, um zu fühlen, ob ich diese Energie aushalte und wir uns „verstehen", und dann könnte ich mir auch durchaus vorstellen, dass er auf meinem Nachttisch neben meinem Bett liegen könnte.

Welche Bedeutung hat das Objekt Ihrer Meinung nach für die Menschheit?

Unbedingt hat der Wolf eine Relevanz für die Menschheit. Ansonsten wäre er nicht so präsent in so vielen Bildern und Geschichten. Sonst hätten wir Menschen nicht versucht, ihn zu domestizieren, ihn zu bändigen und ihm eine andere Form überzustülpen – das Schoßhündchen. Jemanden zu ändern und sich anzueignen macht man nur mit einem Gegenüber, der einem Angst einflößt.

Aber auch das Sozialverhalten des Wolfes ist mit dem der Menschen vergleichbar: Einerseits das Einzelgängertum und andererseits das soziale Leben im Rudel – das ist schon sehr nahe am Menschen. Wahrscheinlich hat der Mensch sich den Hund auch deshalb als Untertan gewählt.

Biographie von Sara Dahme

Meine Leidenschaft gehört der Kunst- und Kulturvermittlung. Nichts macht mir mehr Freude, als andere für Theater, Kunst, Musik und Kultur im weitesten Sinne zu begeistern - Hemmschwellen einzureißen und Lust auf mehr zu machen. Es ist mir wichtig, anspruchsvoll aber immer auch auf Augenhöhe und mit Humor und Offenheit zu arbeiten. Ich helfe Zugänge zu finden, Vorurteile über Bord zu werfen und Spaß bei der Auseinandersetzung mit Kunst zu haben. Ich liebe amerikanische Muscle-Cars aus den 70ern, hohe Schuhe und alles was mein Anwalt kocht.

 

Stand: Mai 2020

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