Entomologie

Über das Aussterben des Haar­strang-Widderchens

Zitat

Das Haarstrang-Widderchen ist leise verschwunden

Dr. Tanja Busse, Journalistin und Autorin
Absätze
Text

Sie durften aus unseren Objekten ein Lieblingsobjekt auswählen – was hat für das Haarstrang-Widderchen gesprochen?

Dr. Tanja Busse:
Es gibt größere Schmetterlinge im Museum – den riesigen Königin-Alexandra-Vogelflügler aus Südostasien etwa – und auch schönere – den Segelfalter zum Beispiel. Aber keiner hat eine so tragische Geschichte wie das Haarstrang-Widderchen. Es ist nämlich in Deutschland ausgestorben, nur weil ein Gesetz ein paar Jahre zu spät kam. Als es nach der letzten Eiszeit wieder warm wurde, ist der kleine Falter aus Südosteuropa zu uns eingewandert. Vor fünftausend Jahren wurde es ein bisschen kälter – zu kalt für das Widderchen. Es überlebte nur an einzelnen fragmentierten Orten. In Deutschland haben es die Schmetterlingsforschenden nur an einem einzigen Ort nachgewiesen, an einem Bahndamm in der Nähe von Mannheim. Dort wurde allerdings ein Industriegebiet gebaut und seitdem ist das Haarstrang-Widderchen verschwunden. „Wäre das Artenschutzprogramm in Baden-Württemberg zwei Jahrzehnte früher gekommen“, sagt Dr. Robert Trusch, der Leiter der Schmetterlingssammlung, „hätte man es vielleicht halten können.“

Was fasziniert Sie an diesem Objekt?

Sein trauriges Verhältnis zum Menschen: Das Haarstrang-Widderchen ist vermutlich erst mit den ersten Ackerbau betreibenden Kulturen aus dem Nahen Osten nach Europa gekommen. Jahrhunderte lang haben die Gärtner und Gärtnerinnen sowie Bauern und Bäuerinnen Flächen geschaffen, auf denen es gut leben konnte. Dann hat es ausgerechnet an einem Bahndamm überlebt und obwohl man in der Forschung darum wusste, konnte es doch nicht gerettet werden.

Was verbindet Sie mit diesem Objekt?

Im Sommer haben wir eine Radtour am Faaker See in Kärten gemacht und uns dabei verfahren. So kam es, dass wir unsere Räder ein Stück durch den Wald und über eine Wiese getragen haben. Dabei habe ich am Waldrand eine kleine Gruppe von Großen Fünffleck-Widderchen entdeckt. Das sind kleine gefleckte Schmetterlinge, die abwechselnd blau oder schwarz schimmern – so schön! Sie sehen dem Haarstrang-Widderchen ganz ähnlich, deshalb kamen sie mir vor wie ein heimlicher Gruß. Ob die Fünffleck-Widderchen es schaffen, in unserer Welt zu überleben?

Wenn Sie Ihr Lieblingsobjekt mit nach Hause nehmen dürften, wo und wie würden Sie es aufbewahren beziehungsweise präsentieren?

Ich würde es gleich im Eingangsbereich zeigen, als Mahnung: Gab es mal. Gibt es nicht mehr. Für immer vernichtet aus Unachtsamkeit.

Das Haarstrang-Widderchen ist leise verschwunden, kaum jemand hat sein Verschwinden bemerkt, wie vermutlich viele andere Arten, denen wir den Lebensraum rauben. Unsere Welt wird so etwas ärmer, wie ein Orchester, das mit immer weniger Instrumenten spielt.

Biographie von Dr. Tanja Busse

Dr. Tanja Busse, geboren 1970, ist Journalistin, Moderatorin und Autorin. Sie schreibt über Biodiversität, Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt und die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Wandels. Zuletzt erschien ihr Buch „Das Sterben der anderen. Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können“ im Blessing Verlag München. Tanja Busse studierte Journalistik und Philosophie, volontierte beim WDR und schrieb ihre Doktorarbeit über Vorstellungen vom Weltuntergang. Sie wurde ausgezeichnet u.a. mit dem Salus-Medienpreis 2017 und dem Wertewandel-Preis des Deutschen Tierschutzbundes 2018.

 

Stand: August 2020

Weitere Lieblingsstücke